VAE: Beduinenfrauen avancieren zu Unternehmerinnen - Beduinenprodukte
im Bordverkauf
Wie macht man aus Beduinenfrauen Unternehmerinnen? Das erfolgreiche Projekt "Sougha" zeigt, wie das geht – mit Hilfe der Regierung, die größtes Interesse daran hat, "gesellschaftlichen Randgruppen", die sich selbst oft nicht als solche empfinden, sichere Einkommensmöglichkeiten zu eröffnen.
Ausgabe 1 / 20012
Text und Fotos: Barbara Schumacher
Der Khalifa Fund for Enterprises Development (www.khalifafund.gov.ae) in Abu Dhabi hat neben seinen vielfältigen Aufgaben, für die der Kronprinz persönlich ein beträchtliches Budget zur Verfügung stellt, ein interessantes Konzept, wenn es um Frauen und den Erhalt des Kulturerbes geht. Als vor drei Jahren die Idee geboren wurde, Wege zu finden, den Beduinenfrauen in der westlichen Wüste, die bis zur Grenze zu Saudi-Arabien reicht, zukunftssichere Einnahmequellen zu sichern, wurde jemand gesucht, der mit viel Engagement Pionierarbeit leisten wollte.
Unverwüstliches aus der Wüste
Angeheuert wurde Leila Ben-Gacem, eine Tunesierin mit einschlägigen Erfahrungen, die im Januar 2009 als Leiterin der Abteilung Unternehmensentwicklung mit dem Projekt "Sougha" (= Geschenk) startete und kein geringeres Ziel hatte, als aus Beduinenfrauen Unternehmerinnen zu machen. Sie bringt ideale Qualifikationen mit: vor Antritt der Position beim Khalifa Fund war sie freie Export-Beraterin für Mikrounternehmen, speziell für Kunsthandwerk in Tunis. "In Abu Dhabi war mein Start bei Null. Wir sind ein Team von drei Frauen, und besonders Marsha hat mir sehr geholfen. Sie ist Emirati, kennt die Mentalität der Beduinenfrauen und verfügt generell über nützliche Kontakte".
Auf der vierstündigen Fahrt von Abu Dhabi City in die westliche Wüste erzählt Leila: "Ziel des Projekts ist, den Beduinenfrauen Wege zu ebnen, damit sie mit ihren traditionellen Handwerkskünsten Geld verdienen. Es gibt viel Potenzial, die Frauen brauchen aber nicht nur finanzielle Mittel, sondern genau so wichtig ist der "Brückenbau". Damit meine ich Folgendes: Die Entwicklung in den Emiraten geht rasend schnell, die ältere Generation hat mentale Probleme, diesem Entwicklungsprozess zu folgen. Es gibt eine riesige Kluft zwischen den Generationen. Beduinenfrauen, die weit entfernt von der Hauptstadt in der Wüste in abgelegenen Städtchen und Dörfern leben, haben ein ungewisses Schicksal. Im Durchschnitt hat jede Frau dort acht Kinder und verfügt über 200 Euro pro Monat.
Zu ihren Stärken gehört, dass sie im Rahmen ihres Beduinenlebens harte Arbeit gewohnt sind und Grundkenntnisse in verschiedenen Kunsthandwerken mitbringen. Auch wenn die Regierung Haus und Bildung bezahlt, so sind sie doch in ihrem Beduinentum gefesselt. Sie haben viele Kamele, begeben sich sporadisch in das "Empty Quarter" nach Saudi-Arabien, wo sie Gebrauchsgegenstände billig einkaufen, um diese dann in den Emiraten teuer zu verkaufen.
"Sougha" will ihnen ein regelmäßiges Einkommen verschaffen durch eigener Hände Arbeit, unter Nutzung ihrer traditionell geprägten Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die bei geschickter Anleitung den modernen Erfordernissen angepasst werden. Ziel ist, immer mehr Frauen unter kundiger Führung und Anleitung zu Unternehmerinnen zu machen. Inzwischen ist die Marke "Sougha" etabliert, und über die Qualität der Produkte kann man sich auf allen einschlägigen Messen, Festivals und Kulturveranstaltungen überzeugen: die handgefertigten Waren finden großen Anklang. Das Besondere ist die Verknüpfung von traditioneller Handwerkskunst der Beduinen mit charakteristischen Mustern - früher genutzt für die Herstellung von Kameltaschen, Zelten, Teppichen, etc. – und nun eingesetzt für die Produktion von Taschen aller Art, von Laptoptasche bis Kosmetiktasche aus mit reiner Baumwolle gewebtem Stoff mit traditionellen Beduinenmustern oder von Strandtaschen aus modisch gefärbtem Palmmaterial. Neben Tischdecken, Armbändern und Schlüsselanhängern gibt es Kissenhüllen, Brillen-, Mobiltelefon-, Visitenkarten-, Kreditkarten- und Schreibstiftetuis, u. v. m. Jedes Stück ist ein Einzelmodell und tatsächlich von Hand gefertigt".
Mariam Marzouqi in Al Mirfa
Al Mirfa liegt an der Küste, in der kleinen Stadt sind in den letzten Jahren komplette Infrastruktur, eine schöne Moschee, eine Corniche mit Parkanlage und Fischereihafen und das Al Mirfa Hotel entstanden, beliebt bei einheimischen Familien wegen der Strandlage und der Wassersportmöglichkeiten. Mariam (ca. 58 Jahre alt) empfängt uns in ihrem Majlis mit Früchten, Wasser, Saft, Tee und Kaffee, sie trägt ein buntes Baumwollkleid und die traditionelle Gesichtsmaske. Sie ist in ihrem Leben viel herum gekommen. "Der Marzouqi-Stamm (Sunniten) stammt ursprünglich aus Hadhramaut im Jemen. Viele Familien dieses Stammes sind nach Faris in Iran ausgewandert. Wir sind eine Mittelklassefamilie und haben - wie viele andere Familien auch - den Iran verlassen, als der Krieg zwischen Iran und Irak begann (1980).
Sheikh Zayed hatte uns wissen lassen, dass alle Sunniten aus dem Iran in den Emiraten willkommen seien. Unsere erste Station - für meinen Mann, meine drei Töchter und mich - war Ras Al Khaimah, dann gingen wir nach Sharjah, und schließlich fanden wir unsere neue Heimat in Al Mirfa, wo Sheikh Zayed uns Land gab. In Al Mirfa wohnen jetzt viele Familien, die ursprünglich aus dem Jemen und Faris in Iran kommen. Unser Haus haben wir selbst gebaut. Am Anfang war in Al Mirfa nichts, nur eine flache Ebene mit Sand und Bäumen und der Strand. Weil wir unbedingt Tiere halten wollten, schafften wir uns Schafe und Hühner an, heute zählt unsere Schafherde über 600 Tiere".
Auf die Frage, ob ihr Mann gleich eine Arbeit fand, meint sie: "Ja, in Sharjah war er zuerst Hausmeister an einer Schule und dann vier Jahre lang Taxifahrer am Sharjah Airport. Jetzt ist er Schafzüchter, er züchtet und verkauft die Schafe". Und wie ist ihr Leben verlaufen? "Ich war immer zu Hause, habe burqas (Gesichtsmasken) produziert und Kleidung für die Familie genäht, für meine drei Töchter und meinen Sohn. Ich fühle mich gut, wie aus einem Käfig freigelassen, und bin mit meinem Leben zufrieden, besonders seit ich bei "Sougha" mitmache. Das begann damit, dass ich bei einem Treffen der Family Development Foundation in Al Mirfa Leila kennenlernte und sofort beschloss, teilzunehmen, weil mich das Konzept überzeugte und Produkte aus Palmmaterial gefragt waren. Palmmaterial ist nämlich mein bevorzugtes Material, aus dem ich alles Mögliche herstelle: Taschen in allen Größen, Matten, Körbe, Tabletts und Schlüsselanhänger (50 Stück pro Tag). Dabei nutze ich modische Farben.
Für das Färben der Palmblätter, die natürlich erst einmal geerntet, gesäubert, geschnitten, nach Stärke sortiert und in der Sonne einen Tag trocknen müssen, werden Farbpulver verwendet. Das Pulver wird in heißem Wasser gelöst, der Färbvorgang dauert 30 Minuten. Man muss diese Arbeit lieben, sonst ist es schwierig. Ein typischer Tag sieht so aus: drei Uhr aufstehen, waschen, beten, Haushalt, Arbeit. Eine meiner Töchter wohnt bei uns, sie arbeitet als Lehrerin in Al Mirfa. Der Enkel wird von unserem Hausmädchen betreut, das aus Äthiopien stammt".
Von Leila entsprechend ermuntert erzählt sie: "Meine Arbeit fand so viel Anklang, dass unser Kronprinz Sheikh Mohammed bin Zayed Al Nahyan mir dafür eine Auszeichnung überreicht hat. Er hat mich gebeten, die junge Generation zu unterrichten, und das erfolgt nun jeden Sommer in der Schule, wenn ich kostenlose Kurse gebe. Die Klassen sind voll. Inzwischen habe ich komplizierte Flechttechniken für das Palmmaterial entwickelt. Besonders beliebt sind die großen Strandtaschen, davon schaffe ich drei pro Woche und verkaufe sie für 150 Dirham (30 Euro) pro Stück. Um sie herzustellen, fertige ich etwa sieben Centimeter breite Streifen, die ich dann zusammen nähe. Die Henkel der Taschen sind aus Kamelleder, das stellt der Khalifa Fund zur Verfügung. Design und Farbkombination entscheide ich. Sehr beliebt sind die Kombination von Naturfarbe und Pink oder Grün oder Violett. Alle von mir produzierten Gegenstände sind für "Sougha" bestimmt, nur selten gebe ich etwas als Geschenk an Nachbarn".
Fatma Mubarak Al Mansouri in Al Silla
Leila mahnt zum Aufbruch, denn es liegt eine weitere Stunde Fahrt vor uns, wir werden von Fatma, einer Beduinenfrau erwartet, die in Al Silla wohnt, unweit der Grenze zu Saudi-Arabien. Auch Fatma bewohnt ein großes, geräumiges Haus, in dem sie ihre Produkte für "Sougha" anfertigt. Zunächst einmal erzählt die resolute Beduinenfrau ihre Geschichte: " Der Mansouri Stamm kommt aus der Wüste, genauer gesagt aus dem Empty Quarter. Bis 1971 gab es hier kein einziges Haus. Wir lebten in Zelten und Barasti-Hütten im Sand. Erst nach der Vereinigung und Unabhängigkeit wurden auf Veranlassung von Sheikh Zayed erste Häuser gebaut. 1974 ging ich für sechs Jahre zur Schule, die lag in Rayathi. Jobs gab es nur in Al Dhafra bei den Ölfeldern. Die Männer hatten keine Ausbildung, und es gab nur die Wahl zwischen einer Arbeit auf den Ölfeldern oder als Lastwagenfahrer. Nach dem Schulabschluss wurde ich 1980 mit 16 Jahren verheiratet. Mein Mann arbeitet bei einem Elektrizitätsunternehmen. Ich bekam sechs Jungen und vier Mädchen und hatte keinerlei Unterstützung. Trotz der zehn Kinder beschloss ich 1990 das College zu besuchen, und zur Feier meines Abschlusses schenkte mir mein Mann diese Goldkette (sie zeigt auf die Kette, die sie um den Hals trägt). Seit dem Jahr 2000 habe ich endlich eine Haushaltshilfe".
Auf die Frage, ob die Beduinen auch in der heutigen Zeit ihre Traditionen pflegen, meint sie: "Ja, wir halten unsere Traditionen lebendig. Etwa fünf Kilometer von hier besitzen wir Land mit 100 Kamelen und etwa 170 Schafen. Die meisten Beduinen halten ihre Tiere auf eigenem Land. Die Kamele werden von Pakistanis und die Schafe von Bengalen betreut. Das Futter müssen wir kaufen. Die Kamele verkaufen wir nicht, wir betrachten sie als unsere Familienmitglieder und nehmen mit ihnen an Wettbewerben beim jährlichen Al Dhafra- Kamelfestival teil. Wir haben nach wie vor unsere Zelte und unsere traditionelle Kleidung und pflegen unseren Lebensstil besonders in den Ferien, die wir mit den Kamelen in der Wüste verbringen. Es gibt in den Emiraten keine nomadisierenden Beduinen mehr, alle besitzen wenigstens ein Haus und moderne Errungenschaften wie Autos, Fernseher, Computer. Die Kommunikation erfolgt per Mobiltelefon. Wenn man heute Beduinen mit ihren Kamelen in der Wüste trifft, dann sind das zuzusagen "Freizeitbeduinen". Manchmal gehen wir mit den Kamelen für etwa zehn Tage nach Saudi-Arabien, besonders gern, wenn es regnet".
Ihr Arbeitstag beginnt um 5:30 Uhr: "Ich bete, wecke die Kinder, wir frühstücken zusammen, einige Kinder gehen in die Schule, andere arbeiten. Um acht Uhr haben alle das Haus verlassen. Ich besuche dann meinen Vater, komme zurück und arbeite bis zum Nachmittag, dann fahre ich auf unsere Kamelfarm bis Sonnenuntergang. Danach kommen Besucher oder ich mache Besuche. Nach dem gemeinsamen Abendessen arbeite ich oft noch bis Mitternacht. Unser Leben ist sehr familienorientiert. Total verändert haben sich allerdings die Sitten und Gebräuche zu Hochzeiten. Früher hat die Familie des Bräutigams die Hochzeit bezahlt, die Feier fand im Haus statt, die Braut trug ein farbenfrohes, reich besticktes Kleid und Schmuck. Die Augen waren mit Khol geschminkt, Hände und Füße mit Henna bemalt. Heute gibt es erst einmal eine Verlobung, teure Geschenke, Ringe und Schmuck und ein großes Dinner für die beiden Familien. Die Braut bekommt 250.000 Dirham (50.000 Euro) zum Einkaufen. Dann lädt sie die neue Familie ein, die Einkäufe zu besichtigen, und am nächsten Tag ist die Hochzeit, nach Geschlechtern getrennt in einer riesigen "Wedding Hall". Die Braut heiratet in weiß, und die weiblichen Gäste tragen westliche Modellkleider".
Fatmas Stärke ist das Weben. "Früher habe ich wenig gewebt, aber seit ich im Rahmen von "Sougha" arbeite, ist es sehr viel geworden. Im großen Arbeitsraum, in dem sich meterlange Webvorrichtungen befinden, hockt sie sich auf den Boden, und während sie arbeitet, erzählt sie: "Ich webe Tischdecken, Taschen aller Art und in allen Größen, auch Jagdtaschen, oft mit Kamelleder-Applikationen und Umhüllungen für alle möglichen Behälter (Stifte, Papiertaschentücher, Visitenkarten, etc.). Aufträge kommen regelmäßig, besonders viele von offiziellen Stellen und Behörden nach großen Messen und Festivals. Die letzten Großaufträge waren 50 Jagdtaschen für die Kulturbehörde nach der Jagdmesse, die Umweltbehörde bestellte 400 Kästchen für Visitenkarten, das Transportministerium möchte Behälter für Datteln. Für eine Person ist das eine Menge Arbeit. Besonders stolz bin ich darauf, dass unsere nationale Fluggesellschaft ETIHAD seit Juli 2011 meine gewebten Kosmetiktäschchen in das Sortiment des Bordverkaufs aufgenommen hat. An Bord wird ein Dokumentationsvideo über die Herstellung gezeigt. Die Vorstellung, dass meine Arbeiten ständig um die Welt fliegen und von internationalen Fluggästen gekauft werden, ist wahrhaft motivierend".
Informationen:
Objekte des "Sougha"-Projekts gehören zu den schönsten Souvenirs in den Emiraten, weil sie praktisch, solide und authentisch sind. Erhältlich sind sie nicht nur im Bordverkauf bei ETIHAD, sondern auch im "Sougha" Kiosk im Souk des neuen, von ALDAR gebauten Central Market Einkaufszentrum in Abu Dhabi.