Ägypten – Nachgefragt
Streiflichter aus Kairo
Jeder Besucher, der derzeit Ägypten besucht, spürt unmittelbar die Probleme: Die Wirtschaft stagniert, der Tourismus liegt am Boden. Den Ägyptern hilft man am besten, indem man jetzt eine Ägyptenreise unternimmt. Die üblicherweise besuchten Sehenswürdigkeiten und die Strecken dorthin sind sicher, die Ägypter den Besuchern gegenüber freundlich und aufgeschlossen. Wie wird die Situation von den Ägyptern gesehen? Im Folgenden kommen eine Unternehmerin, ein Künstler und ein Reiseleiter zu Wort.
Ausgabe 1 / 2012
Text und Fotos: Barbara Schumacher
Dr. Yomna El Sheridy - Unternehmerin und Verbandspräsidentin
Dr. Yomna El Sheridy hat in Ägypten und USA Pharmazie studiert. Selbstverständlich spricht sie perfekt Englisch. Sie ist Gründerin und Präsidentin von Business Women of Egypt 21, Gründerin des Arab Businesswomen Council in the Arab League, Vorstandsmitglied im Olive Products Council. Ihrem ersten, 1993 gegründeten Import-Unternehmen für Baby-Nahrung lag die gute Idee zu Grunde, dass für solche Produkte bei zwei Geburten pro Minute ein großer Markt vorhanden ist. "Leider brach das Unternehmen zusammen, als Währungskrise und Wechselkursprobleme den Import unmöglich machten.
Also verlegte ich mich auf den Export und gründete 2000 die Firma Special Foods Industry International Co (SFII) für Produktion und Export von Oliven und Olivenprodukten. Dabei haben mir die Netzwerke, in denen ich mich befand, sehr geholfen: Kontakte auf Messen, mit Unternehmerinnenverbänden in Syrien, Tunesien, Jordanien und Libyen, Kontakte mit Nicht-Regierungs-Organisationen, mit Handelskammern, usw. Ich besann mich darauf, global zu denken und zu agieren". Als Managing Director von SFII gibt sie zu: "Nach der "Revolution" war die wirtschaftliche Situation schwierig, aber ich gehe davon aus, dass die Geschäfte ab Frühjahr 2012 wieder anlaufen. Die ältere Generation ist in dieser Hinsicht skeptischer als die junge".
Auf die Frage, wie sie die Stärke der Islamisten im Hinblick auf die Rechte der Frauen sieht, meint sie: "Mit ähnlichen Verhältnissen wie in Iran oder in Saudi-Arabien rechnen wir nicht. Die ägyptischen Frauen haben sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr behauptet, ein Leben zurück in die Vergangenheit wird es nicht geben, weil wir unsere Rechte keinesfalls aufgeben werden".
Auf die Salafisten, vor denen die Nicht-Salafisten in Ägypten wirklich Angst haben, und die Muslimbrüder angesprochen, erklärt sie: "Die Salafisten sind aus dem Nichts aufgetaucht. Sie sind sehr religiös. In Ägypten streben wir eigentlich eine Trennung von Religion und Politik an, und daher entwickelt sich ein gewisser Hass auf die Salafisten. Das Gute an der Wahl ist: Jetzt sind die Salafisten bekannt und deshalb droht von ihnen keine Gefahr. Sie werden nicht ernst genommen. Sollten sie – durch Unterstützung von außen – immer stärker werden, wird es eine neue Revolte geben. Den Muslimbrüdern wird dem gegenüber zugetraut, dass sie das Land wirtschaftlich voranbringen. Viele von ihnen sind Unternehmer mit eigenem Vermögen".
Nach den vielen verschleierten Frauen gefragt meint sie: "Das ist ein Massenphänomen. Viele intelligente und studierte Frauen tragen jetzt Schleier – sie wollen damit zum Ausdruck bringen: Wir sind Muslime. Andererseits ist auch zu beobachten, dass junge Leute sich in der Öffentlichkeit küssen – früher undenkbar". Zeichen der neuen Freiheit?
Wael Darwesh – Kritischer Künstler
Die Künstler Ägyptens verarbeiten die Situation im Land – jeder auf seine Art. Wael Darwesh (Jahrgang 1975) lebt und arbeitet in Kairo: "Ich wollte cool bleiben, aber viele Fragen ohne Antworten gehen mir unaufhaltsam durch den Kopf. Das Prinzip Hoffnung ist meine Überlebenschance. Und schließlich bin ich zeitweise aus der Realität geflüchtet, um nicht vor Angst zu vergehen. Manchmal denke ich, dass die Frage "Leben wir noch?" von niemandem zu beantworten ist. Überall hängen die dunklen Wolken des Wandels. Kunst ist mein Beruf und meine Leidenschaft - folglich gibt es eine starke Verbindung zur aktuellen Situation, und daher ist meine Kunst manchmal ein visuelles Drama, das die wirkliche Welt fotografisch festhält – besonders nach dem 25. Januar 2011. Ich fühle mich jetzt wie ein Empfänger und Übermittler von Signalen und Botschaften, und das drücke ich in meinen Werken aus".
In den Straßen von Kairo sucht er seine Motive: normale Bürger drängen sich neben Soldaten und Verkehrspolizisten. Symbole werden wichtig und eingefrorene Realität. "In den letzten Jahren habe ich mich stark mit den sich verändernden Perspektiven befasst und mit der ständigen gesellschaftlichen Metamorphose, die Ägypten seit drei Jahrzehnten erlebt. Migration, Geschlecht, Identität sind Themen, die nicht nur mich, sondern auch andere Ägyptische Künstler beschäftigen. - Hinsichtlich meiner Techniken nutze ich Collagen, kombiniere Farben und Kalligrafie, Textilien und weitere dreidimensionale Medien um damit die Vergänglichkeit auszudrücken".
Wael Darwesh hat zahlreiche, internationale Kunstpreise gewonnen und hatte viele Solo-Ausstellungen in Ägypten, den Golfstaaten, Indien und Europa. Seine neue Gemäldereihe "Zeitzeuge" war im Januar 2012 in der namhaften Art Sawa Galerie im Kunstgalerien-Bereich des Dubai International Financial Center in Dubai zu sehen.
Ahmed Ghonem – Reiseleiter für deutsche Touristen
Die meisten Reiseleiter, die keinen Zweitjob haben, sind Anfang 2012 arbeitslos und haben trotzdem ihren Humor nicht verloren, denn alle hoffen auf das nächste Jahr. Viele ihrer Familien leiden Hunger – die Situation kann man nur als Desaster bezeichnen. Die rund 16.000 professionellen Reiseleiter mit abgeschlossenem Hochschulstudium, die in der Kammer der Reiseleiter organisiert sind, haben im Januar 2012 ihren Vorstand neu gewählt. Einer von ihnen, Ahmed Ghonem, erzählt: "In Ägypten gibt es für die einzelnen traditionellen Berufe wie Ärzte und Ingenieure eigene Kammern. Die Mitglieder zahlen jährliche Beiträge. Sie erhalten Krankenversicherung bzw. Rente. Stirbt z. B. der Familienvater, erhält die Ehefrau Witwen- und Waisenrente für die Kinder bis zur Volljährigkeit bzw. Heirat.
Ich habe mich für den Vorstand einer unabhängigen und freien Kammer der Reiseleiter beworben, am Ende leider nicht genügend Stimmen bekommen, obwohl ich viele Plakate geklebt und Handzettel verteilt habe. Ich bin aber mit dem Wahlgewinner, einem guten Kollegen von mir, sehr einverstanden. Ziele unserer Kammer sind es, für die Interessen unserer Mitglieder zu sorgen und das Niveau auf gesellschaftlicher, wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene kontinuierlich zu verbessern. Wir haben gute Ideen, wie der Tourismus wieder anzukurbeln wäre, denn unsere Mitglieder haben die Möglichkeit, für den Ägypten-Tourismus in verschiedenen Ländern der Welt zu werben: Sie beherrschen die Fremdsprachen und kennen Sitten, Gebräuche und Mentalität der Menschen aus den einzelnen Ländern. Wir würden gern einen Fernsehsender für Tourismus ins Leben rufen" .