Interview:
Libyens Geschäftsträger
Dr. med. Aly Masednah El-Kothany.
"Bildung ist das Wichtigste."
In seinen letzten Jahren war das Libyen der Gaddafi-Zeit ein wesentlicher Wirtschaftspartner Deutschlands, es war der wichtigste Öllieferant unter den arabischen Ländern. Jetzt ist das nordafrikanische Mittelmeer-Land mit dem Aufbau der nach 42 Jahren Diktatur und Revolution zerstörten Institutionen in Staat und Gesellschaft befasst. Mit den Wahlen zum libyschen Nationalkongress am 7. Juli ist ein erster Schritt getan. Über der Staatsaufbau und die Beziehungen zu Deutschland sprach ARAB FORUMA mit Libyens Geschäftsträger Dr. med. Aly Masednah El-Kothany.
Ausgabe 2 / 2012
Interview: Rainer Schubert
ARAB FORUM: Herr Dr. El-Kothany, wie ist der Stand der Beziehungen Libyens mit Deutschland? Sind die Irritationen vom vergangenen Jahr aufgrund der deutschen Enthaltung im Weltsicherheitsrat endgültig Vergangenheit?
Dr. El-Kothany: An sich gab es keine echten Irritationen am Anfang. Damals hat Deutschland im Weltsicherheitsrat sich der Stimme enthalten beim Einsatz der NATO, dass die libysche Bevölkerung geschützt wird, dass es keinen Massenmord gibt, dass Bengasi, Tobruk und andere Städte von der Bildfläche verschwinden. Andererseits muss man sagen, dass Deutschland einer der wenigen europäischen Staaten war, der Gaddafi nicht erlaubt hat, sein Zelt in Berlin aufzubauen. Das hat das libysche Volk nicht vergessen. Nachdem Gaddafi seinen Milizen erlaubte, auf das Volk zu schießen, wodurch viele Menschen getötet und verletzt wurden, hat Deutschland begonnen zu helfen. Bundeswehrhospitäler haben Verwundete aufgenommen, Außenminister Westerwelle und Entwicklungsminister Niebel waren bereits im Juni 2011 in Bengasi. Dies war ein starkes Signal, dass Deutschland bei dem Aufbau Libyens helfen wird.
ARAB FORUM: Wo hilft Deutschland humanitär?
Dr. El-Kothany: Viele Patienten wurden aus Libyen übernommen und behandelt. Diese Leistungen werden von Libyen bezahlt. Auch was von Libyen gekauft wird – Kraftwerke, Reparaturen von Elektrizitätsleitungen, damit die Pumpen, die das Öl zu den Häfen pumpen, funktionieren – das wird aus Deutschland importiert und bezahlt.
ARAB FORUM: Wie funktionieren die wirtschaftlichen Beziehungen?
Dr. El-Kothany: Sie funktionieren ganz gut, wenn man die Umstände in Libyen berücksichtigt. Nach 42 Jahren Diktatur gibt es im Gegensatz zu Tunesien und Ägypten keine Institutionen, keine Polizei, kein Ministerium, das funktioniert. Wir hatten im Prinzip in diesen 42 Jahren auch keine Hauptstadt. Da wo Gaddafi war, war die Hauptstadt. Alles wurde von einem Alleinherrscher geregelt, und entsprechend war der Zustand dieses Landes.
ARAB FORUM: Viele deutsche Unternehmen waren in Libyen engagiert, Libyen war der wichtigste Erdöllieferant Deutschlands innerhalb der arabischen Welt. Ist dieser Status wieder erreicht?
Dr. El-Kothany: Die Wirtschaftsbeziehungen waren immer gut und man verzichtet auch jetzt nicht auf Deutschland. Deutschland ist bekannt für Qualität und Zuverlässigkeit. Die guten Beziehungen zu Deutschland haben Tradition. Libyen hofft neben guten Wirtschaftsbeziehungen auf einen aktiven Einsatz beim Aufbau der Human Resources. Dies wäre z.B. möglich, wenn die Bundesregierung die deutsche Zivilgesellschaft dabei unterstützt, die Qualität des Bildungs- und Gesundheitssystems in Libyen aufzubauen und zu verbessern.
ARAB FORUM: Wie verhalten sich gegenwärtig die deutschen Unternehmer? Folgen der Neugierde und dem Interesse, die gleich nach dem Ende der Gaddafi-Herrschaft zu beobachten waren, auch Taten?
Dr. El-Kothany: Man will die alten Beziehungen auffrischen. Die Unternehmer sind neugierig, was im Land passiert, wohin die Richtung geht. Zum anderen drücken sie ihre Sympathie für die libysche Revolution aus und möchten am Wiederaufbau der Wirtschaft beteiligt sein. Das ist als Anerkennung und Stabilisierung der libyschen Revolution zu sehen.
ARAB FORUM: Deutsche Unternehmer legen immer Wert auf Rechtssicherheit. Wie ist hier der Stand?
Dr. El-Kothany: Es gibt noch keine routinierte Regierung. Wir erleben jetzt eine Übergangsphase nach einer Revolution und 42 Jahren Diktatur. Das braucht ungefähr anderthalb Jahre, um normale Verhältnisse herzustellen. Es werden u. a. das Gerichts- und Bankenwesen modernisiert und die Korruption bekämpft. Das ist eine Chance, um gute Wirtschaftsbeziehungen aufzubauen.
ARAB FORUM: Besonders häufig war die Rede von Kooperation in der universitären und der beruflichen Bildung. Was ist hier besonders hilfreich?
Dr. El-Kothany: Bildung ist das Wichtigste überhaupt. Wenn junge Leute richtig ausgebildet und qualifiziert sind, wird ihr Selbstwertgefühl gestärkt, ganz gleich ob als Facharbeiter oder im akademischen Beruf. Deutschland hat sich durch seine akademische Ausbildung und durch das duale System der Berufsbildung einen Namen gemacht. Mit dieser Tradition kann man Libyen helfen. In Tobruk gab es eine Berufsschule, eingerichtet von Deutschland, die unter Gaddafi geschlossen wurde. Solche wichtigen Facharbeiter fehlen noch in Libyen. Daher hofft man auf die Unterstützung Deutschlands, dieses Defizit auszugleichen.
ARAB FORUM: In welchen Wirtschaftszweigen sucht Libyen noch die Kooperation mit Deutschland außer in der Berufsbildung?
Dr. El-Kothany: Eigentlich in allen Sparten, angefangen von Wasseraufbereitung aus Salzwasser, über Straßenbau, Flughäfen, Schulen, Universitäten, Krankenhäuser und Ausbildung von Ärzten und anderen Fachkräften.
Es geht aber nicht nur um wirtschaftliche Interessen, auch menschliche Werte sind sehr wichtig. Deshalb lege ich vor allem großen Wert auf die Arbeit der deutsche Parteienstiftungen und Bürgerinitiativen in Libyen. Wir brauchen z. B. Hilfe, wie man Journalisten ausbildet, wie man Schulen organisiert. Ich freue mich auch über den Besuch von deutschen Künstlern oder Sportlern in Libyen. Libyen hat eine Küste von mehr als 2000 km – dort kann man Einrichtungen für den Tourismus aufbauen. Es gibt außerdem unbegrenzte Möglichkeiten, Wassersportarten aller Art auszuüben.
Dem Land ist nicht allein mit Export von Waren geholfen. Wichtig ist, dass der Mensch im Mittelpunkt steht, dass er ausgebildet wird. Wir haben gemeinsame Werte. Bedenken Sie, dass in den arabischen Ländern wichtige Elemente der Kultur wie das Alphabet und die Zahlen entstanden sind. Die Kultur kam vom Mittleren Osten nach Griechenland und dann nach Europa. Den Handel haben schon die Phönizier vor mehr als 3000 Jahren von Libanon nach Westafrika und Europa begonnen.
Als Anrainer des Mittelmeers, des Mare Nostrum, haben wir eine gemeinsame Kultur geschaffen, an der wir zusammen auf gleicher Augenhöhe zum Wohle unserer Völker weiterarbeiten sollten.
ARAB FORUM: Wie steht es um den zukünftigen Zusammenhalt der verschiedenen Regionen Libyens?
Dr. El-Kothany: In Libyen gab es bereits früher drei verschiedene Bundesländer, später wurde das Land einheitlich, und es wird zusammen bleiben. Die Libyer sind miteinander verwandt und verschwägert. Das Land wird dezentralisiert, in welcher Form, darüber wird man diskutieren. Die Ergebnisse dieser Diskussionen werden sich in der zukünftigen Verfassung niederschlagen.
ARAB FORUM: Die ägyptischen Nachbarn haben das erste Mal einen Präsidenten, der vom Volk gewählt worden ist. Hat das eine positive, beflügelnde Wirkung für Libyen?
Dr. El-Kothany: Der neue ägyptische Präsident Dr. Mohammed Mursi ist ein Mann aus dem Volk, der in Amerika promoviert und akademisch gearbeitet hat. In der Zeit der Revolution in Ägypten war er im Gefängnis. Wenn jemand aus dem Volk an die Macht kommt und versucht zu versöhnen und Probleme zu lösen, dann gibt das ein sehr starkes, positives Signal an alle arabischen Länder
Wir danken dem Berlin Capital Club für die Möglichkeit, dass wir das Interview in seinen Räumen führen konnten.