Nubia_forgotten_kingdom
Donnerstag, den 21. Juli 2011

Es gibt vier Millionen Nubier in Ägypten, und das Nubische Museum in Assuan lässt die Erinnerung an ihre reiche Kultur lebendig werden. Die bekannteste Nubische Vokabel ist wohl "feluka" – denn dem Angebot für eine Fahrt auf dem nubischen Segelschiff kann sich in Assuan kein Besucher entziehen. Auf einigen Nilinseln bei Assuan und auf der Westseite des Nils gegenüber Assuan leben heute noch Nubier in ihren eigenen Dörfern, und man kann die typische Architektur ihrer Häuser mit Dekorationen und Wandmalereien bewundern.
Kultur des Vergessens?
"Nubia_forgotten_kingdom" ist der Beginn der E-mail-Adresse von Gasser Mohammed Anwar. Der geschichtsbewusste junge Mann ist 1. Steward auf einer Dahabeya, jenen, im Vergleich zu den üblichen großen Nil-Passagierschiffen kleinen, nostalgischen Segelschiffen, die oft nur mit einem Dutzend Passagieren fahren. Genau wie der Rest der Mannschaft und wie Kapitän Ramadan Mohammed Awadallah ist er Nubier. Die jungen Nubier, die fern ihrer ursprünglichen, im Nasser-Stausee versunkenen Dörfer aufgewachsen sind, wissen nur noch wenig über ihre Kultur. Aber Kapitän Ramadan (47), der mit seiner Familie – wenn er nicht auf der Dahabeya Dienst tut – im nubischen 700-Seelen Dorf Nega El Mahatta, fünf Kilometer von Assuan entfernt, neben der Sehel Insel wohnt, pflegt bewusst die nubischen Traditionen und ist stolz auf die beiden eigenen Sprachen Kenuzi (gesprochen bis 145 km südlich von Assuan) und Fadja (über 500 km noch weiter südlich), die nur noch in traditionsverpflichteten Familien gepflegt werden.
Kulturbewusster Kapitän

Die Fahrt von Esna nach Assuan (gegen die Strömung) geht unter Segeln langsam vonstatten, insbesondere wenn der vorherrschend aus Nord kommende Wind kaum weht und der Schlepper nicht im Einsatz ist. Dann sind die Esel am Ufer schneller unterwegs, und es ist Zeit für Erzählungen: "Ich hatte eine glückliche Kindheit in unserem Dorf. Mein Vater hatte zuweilen eine gut bezahlte Arbeit in der Stromfirma beim Staudamm, und so führten wir (Mutter und fünf Geschwister) ein angenehmes Leben. Meist arbeitete mein Vater auf einem 20 Meter langen Lastensegler, der zwischen Assuan und Wadi Halfa (südlich der Grenze zu Sudan) Mais, Datteln, Malventee, Bohnen, Baumaterial, etc. transportierte. Vor dem Bau des Staudamms reichte das Nubierland von Assuan bis Wadi Halfa am 2. Nilkatarakt, ursprünglich sogar bis zum 6. Nilkatarakt südlich Meroe im heutigen Sudan. Viele Einwohner der durch den Stausee überschwemmten Dörfer am Ufer des Nils, die aus Nilschlamm gebaut waren, wurden in und um Kom Ombo sowie in und um Assuan angesiedelt, einige gingen auch nach Kairo und Alexandria. Die Nubier bleiben meist unter sich. Mischehen mit Nicht-Nubiern gibt es kaum". Es sind noch nicht alle über 100 nubischen Könige von den Archäologen nachgewiesen oder erfasst. Ramadan verweist auf einige der bekannteren, wie Königin Nefertari, König Kusha und König Taharqa. Nubier lebten vor den Zeiten der Pharaonen, ihr Name leitet sich vom Wort für Gold (Schmuck) ab. "Wir haben unsere eigene Folklore. Gesang mit Begleitung von Trommel, Tabla, Oud und Hände klatschen spielt eine große Rolle. Es gibt ein ansehnliches Repertoire von Liebesliedern an die Frauen, die beim Tanz dabei sind. Auch Dichtung und Poesie haben eine lange Tradition. Beliebt sind unsere kulinarischen Spezialitäten, wie Molohia (Spinatgericht), Kage und Fit (Arten von Mais-Brot), Abregh, ein Getränk für die Zeit des Ramadan (aus getrocknetem Mais) und Karum Medid (schwarzer Honig mit Karum). Gari (aus Kichererbsen und Mais) gibt es mit oder ohne Milch für die Nachbarinnen am ersten Tag nach einer Geburt, die in den Dörfern heute noch gefeiert wird". (Die Fahrt auf der Dahabeya kann über OFT-Reisen (www.oft-reisen.de) gebucht werden).
Nubisches Museum in Assuan

Wer sich mit diesen Traditionen etwas näher befassen möchte, besuche das ausgezeichnete Nubische Museum in Assuan, das zu den schönsten Museen Ägyptens zählt. Neben den professionell präsentierten Exponaten gibt es Shop und Cafeteria, eine große Bibliothek und ein Außengelände mit Skulpturen, Grabstelen und dem Nachbau eines nubischen Hauses mit typischer Architektur und Wandmalereien in einem großen Park. Viel besucht ist die Abteilung mit "historischen" Fotos aus dem Nubierland: Da steht der Kalabsha-Tempel 1957 noch an seinem ursprünglichen Ort, genau wie der Tempel von Ramses II. 1963 im Wadi Al Sebua und die Tempel von Ramses II. und Nefertari in Abu Simbel im Jahr 1960. "Der Wunsch, ein Nubisches Museum zu bauen besteht schon seit den 1960er Jahren, im November 1997 wurde unser Museum eröffnet", so Museumsdirektor Ossama Abdel Meguid. Heute ist das beliebte und viel besuchte architektonische Meisterwerk ein Zentrum der nubischen Kultur, und es gibt den üblichen internationalen Austausch von Exponaten, auch z. B. mit dem Ägyptischen Museum in Berlin. Direktorin für Museumspädagogik ist Thanaa Hassan Mossa mit guten Deutschkenntnissen, die nach ihrem Psychologiestudium und einigen Praktika in deutschen Museen von Anfang an dabei ist. Im Museum hat der international bekannte nubische Künstler Sayed Mohammed Ragab sein Atelier und leitet Workshops. Seine Öl-Gemälde mit nubischen Motiven sind das schönste Souvenir. Beim Bahnhof von Assuan stehen am Eingang zum Souq von ihm geschaffene monumentale Skulpturen – eine nubische Braut in Vorder- und Rückansicht. Öffentliche Plätze und Wege sind mit seinen Wandreliefs und Installationen geschmückt. Im bekannten Grand Bazar in der Sadat Street sind seine kunsthandwerklichen Relief-Arbeiten in einer Verkaufsgalerie präsent.
Besuch auf einer nubischen Nilinsel

Die einzigen drei ursprünglichen nubischen Inseldörfer, die trotz Staudammbaus noch übrig geblieben sind, befinden sich zwischen dem alten und neuen Staudamm. Das größte dieser Dörfer wird von 3000 Nubiern bewohnt, fremde Besucher gibt es nicht. Inselbewohner Ahmed ist mit seinem Motorboot pünktlich zur Stelle. Normalerweise fährt er Touristen zum Philae-Tempel. Es geht vorbei an einer unberührten Granitfelslandschaft mit spärlicher Vegetation. Der Bootsanleger ist einfach, an der Befestigung des steilen Weges zum Dorf wird gerade mit Hilfe von Eseln gearbeitet. Die ältesten Häuser sind etwa 100 Jahre alt, sie sind aus Lehm gebaut, auch die Dachkuppeln, die in einigen Fällen eingestürzt sind. Viele der alten Häuser mit Wandmalereien gegen den "Bösen Blick" sind gut gepflegt und bewohnt. Eine Frau backt das für die Gegend um Assuan typische "Sonnenbrot", andere Frauen hängen Wäsche auf. Auf dem Weg zur Schule kann man sich davon überzeugen, dass es keinerlei Infrastruktur gibt. Die Vegetation sind Doom-Palmen, die einzige Palmenart, die sich bereits am Boden verzweigt. In der Osman bin Affan- Grundschule mit sechs Klassen und 63 Schülern im Alter von sechs bis zwölf Jahren unterrichten drei Lehrerinnen und elf Lehrer, drei stammen aus Assuan, die übrigen aus dem Dorf. "Osman bin Affan war der dritte Kalif nach Prophet Mohammed. Er hat zuerst eine Tochter von Prophet Mohammed geheiratet, als diese starb, heiratete er eine zweite Tochter des Propheten. Die Töchter stammten von der ersten Frau des Propheten" erklärt Inselbewohner Direktor Abdel Sabur. Lehrer Jaffar unterrichtet islamische Religion und ist Vorbeter in der Moschee am alten Staudamm. Lehrer Mohammed unterrichtet Arabisch und sorgt dafür, dass die Schüler, die gerade Arabisch-Unterricht haben, für den Besuch ein Gedicht aufsagen. Mit rührend viel Emotion macht das Baballah, ein Junge, dessen Kopf an eine Skulptur eines nubischen Königs erinnert. "Baballah bedeutet Tor zu Allah und ist ein alter, nur bei den Nubiern verwendeter Name und sonst in der arabischen Welt unüblich", so Mohammed. Die Attraktion auf dem Rückweg ist eine Frau, die den traditionellen Nubischen Goldschmuck trägt, zu dem große Ohrgehänge gehören – aufregender Kontrast zu dem mit schwarzem Schleier umrahmten dunklen Gesicht.
Text undd Fotos: Barbara Schumacher